Die grossen Lebensfragen
Was ist der Sinn und Zweck des Lebens auf dieser Erde?
Gibt es ein Weiterleben nach dem Tod?
Gibt es nach dem irdischen Leben ein Gericht?
Kommen nach dem irdischen Tod die einen in den Himmel und die andern in die Hölle?
Gibt es eine ewige Verdammnis?
Auch hier haben die kirchlichen Institutionen keine klaren Antworten.
Durch das wiederentdeckte Wissen über den Heils- und Erlösungsplan mithilfe der Schriften von Origenes und Didymos, können diese Fragen beantwortet werden.
Mit den zwei zitierten Beiträgen (aus dem Buch «Kernbotschaften des Frühchristentums» von Andreas Brüschweiler) werden wichtige Wissenslücken wieder geschlossen. Folgende zwei Kernbotschaften werden daraus ersichtlich:
Es gibt keine ewige Verdammnis.
Der von Gott und Christus erstellte Heils- und Erlösungsplan umfasst alle abgefallenen Geistwesen, alle Menschen und alles Leben auf der Erde.
1. Origenes‘ Lehre von der vollständigen Wiederherstellung der ursprünglichen göttlichen Ordnung
Origenes‘ Theologie zeichnet sich nicht nur durch eine fast einmalige Tiefgründigkeit, sondern auch durch eine Weitsicht aus, welche das menschliche Vorstellungsvermögen beinahe sprengt: Origenes‘ Blick reicht bis zu jenem Zeitpunkt in der fernen Zukunft, in welchem alle gestürzten Wesen (einschliesslich dem sog. „Lichtträger“) reuig geworden sein werden, ihren Heimweg zu Gott und Christus zurückgelegt und sich wieder Christi Königtum in der hohen jenseitigen Welt unterworfen haben werden. Da dieses Ende mit dem ursprünglichen, glückseligen Zustand der göttlichen Ordnung übereinstimmt, hält Origenes wörtlich fest:
Dann können wir von diesem Ende her auf den Anfang der Welt blicken. Denn immer ist das Ende dem Anfang ähnlich; und daher muss, so wie das Ende von allem eines ist, so auch ein Anfang von allem angenommen werden. [De principiis I 6, 2, S. 217]
Wann dieses Ende bzw. dieser Neuanfang eintreten wird, lässt sich nicht in Jahreszahlen ausdrücken (bis dahin werden Abermilliarden von Jahren vergehen), und dementsprechend sind in Origenes‘ Schriften auch keine genauen Zeitangaben über den Zeitpunkt der vollständigen Wiederherstellung der ursprünglichen göttlichen Ordnung zu finden. Diese Wiederherstellung bzw. Vollendung beschreibt Origenes mit den folgenden Worten:
(Das Wort) „Ende“ lässt an eine „Vollendung“ der Dinge denken. […] Jedenfalls glauben wir, dass Gottes Güte durch seinen Christus die ganze Schöpfung zu einem einzigen Ende führen wird, in dem auch die Feinde unterworfen werden. Denn so sagt die heilige Schrift (Ps. 109 [110], 1): „So sprach der Herr zu meinem Herrn: setze dich zu meiner Rechten, bis ich die Feinde als Schemel unter deine Füsse lege.“ Wenn uns nicht ganz klar ist, was die prophetische Rede hier meint, so können wir es vom Apostel Paulus lernen, der klarer sagt (1 Kor. 15, 25): „Christus muss herrschen, bis dass er alle seine Feinde unter seine Füsse lege.“ Und wenn auch dieser klare Spruch des Apostels uns nicht genügend belehrt, was es heisst, die Feinde unter seine Füsse zu legen, so höre noch das, was bei ihm folgt (1 Kor. 15, 27): „Denn alles muss ihm unterworfen sein.“ Was ist das für eine Unterwerfung, in der Christus alles unterworfen sein muss? Ich meine, eben diese, in der auch wir ihm unterworfen zu sein wünschen; in der auch die Apostel und alle Heiligen ihm unterworfen sind, die Christus gefolgt sind. Denn das Wort „Unterwerfung“, wenn es unsere Unterwerfung unter Christus meint, bedeutet das Heil der Unterworfenen, das von Christus kommt, wie auch David sagte (Ps. 61 [62], 2): „Wird nicht meine Seele Gott unterworfen sein? Denn von ihm kommt mein Heil.“ Wenn wir eine solche Vorstellung vom Ende haben, wo „alle Feinde Christus unterworfen sind“, wo „als letzter Feind der Tod vernichtet wird“, wo „das Reich von Christus, dem alles unterworfen ist, dem Gott und Vater übergeben wird“ (vgl. 1 Kor. 15, 24-28): dann können wir von diesem Ende her auf den Anfang der Welt blicken. Denn immer ist das Ende dem Anfang ähnlich; und daher muss, so wie das Ende von allem eines ist, so auch ein Anfang von allem angenommen werden. [De principiis I 6, 1 f., S. 215 ff.]
Dabei betont Origenes, dass mit der „Vernichtung des letzten Feindes“ in der Sprache der Bibel gerade nicht die Auslöschung der Existenz des Unterweltherrschers, sondern die Vernichtung seiner feindlichen, gegen Christus gerichteten Willensrichtung gemeint ist:
Darum heisst es denn auch, „der letzte Feind“, welcher „der Tod“ genannt wird [d.h. Luzifer], werde vernichtet (vgl. 1 Kor. 15, 26); es gibt also keine „Traurigkeit“ mehr, wo der Tod nicht ist (vgl. Offb. 21, 4), und keine Verschiedenheit, wo kein Feind ist. Die „Vernichtung des letzten Feindes“ ist aber so zu verstehen, dass nicht seine von Gott geschaffene Substanz vergeht, sondern seine feindliche Willensrichtung, die nicht von Gott, sondern von ihm selbst stammt. Er wird also vernichtet, nicht um (künftig) nicht zu sein, sondern um (künftig) nicht (mehr) „Feind“ und „Tod“ zu sein. Denn dem Allmächtigen „ist nichts unmöglich“ (vgl. Hiob 42, 2), und nichts ist unheilbar für den, der es gemacht hat. Denn er hat alles geschaffen, damit es sei, und was geschaffen ist, damit es sei, kann nicht nicht sein. [De principiis III 6, 5, S. 657]
In seiner Homilie Lat. 2(2) zum Buch Jeremia hebt Origenes hervor, welche zentrale Stellung im göttlichen Heils- und Erlösungsplan dem Streben jeder einzelnen gefallenen Persönlichkeit zukommt, wieder das zu erlangen, was sie verloren hat (nämlich ihren glückseligen Platz in ihrer ursprünglichen Heimat in der hohen geistigen Welt vor ihrem Sturz in die Unterwelt):
Zuerst muss man aus der Mitte Babylons [Babylon wird an dieser Stelle als Sinnbild bzw. Bezeichnung für die Herrschaftsbereiche des Unterweltherrschers verwendet] fliehen, danach müssen die Einzelnen ihre Seelen erretten, nachdem sie geflohen sind. Es heisst aber nicht: rettet, sondern: errettet [resaluate: wiedererrettet]. Die Hinzufügung einer Silbe [re: zurück, erneut] weist auf ein Geheimnis hin: Weil wir einst das Heil gekostet haben und aus ihm wegen der Sünden später herausgefallen sind [im Rahmen des sog. Engelsturzes], sind wir nach Babylon [d.h. in die Unterwelt] gekommen. Aufgrund dessen muss jeder Einzelne seine Seele erretten, um nach dem Wort des Apostels Petrus anzufangen, das wieder zu bekommen, was er verloren hat: „Wir werden das Ziel des Glaubens, das Heil der Seelen, wiedererlangen. Nach diesem Heil haben die Propheten gesucht und geforscht, die über die uns zukommende Gnade prophezeit haben“ (1 Petr. 1, 9 f.). Gleichwohl liegt es an uns, aus Babylon zu fliehen, und steht es in unserer Macht, ob wir wieder aufrichten wollen, was gefallen ist. [Homilie Lat. 2 (2), 3 zum Buch Jeremia, S. 555 ff.]
Hält man sich vor Augen, dass eine der grundlegendsten theologischen Lehren von Origenes die vollständige Wiederherstellung der ursprünglichen göttlichen Ordnung (einschliesslich der Heimkehr des verlorenen Sohnes, d.h. des „Morgensterns“) bildet, so wird einem bewusst, dass sich seine ursprüngliche, unverfälschte Theologie im folgenden Kernpunkt von den Dogmen der katholischen Kirche unterscheidet:
Das Weltende ist gerade keine Schreckensvision, vor welcher sich die Gläubigen zu fürchten haben, denn es bedeutet nicht den Weltuntergang mit einem daran anschliessenden Strafgericht Gottes, durch welches die Ungläubigen zu ewigen Höllenstrafen verurteilt werden. Vielmehr besteht das Ende der Welt im Ende der Herrschaft des Bösen bzw. des „letzten Feindes“ über sein Reich und damit in der vollständigen Überwindung des Todesreiches bzw. des Todes überhaupt. Da nach den theologischen Lehren von Origenes der Zweck der irdisch-materiellen Welt in der sukzessiven Heimführung der Gestürzten in die hohe jenseitige Welt besteht, wird die irdisch-materielle Welt ihren Zweck am Ende der Welt (d.h. im Zeitpunkt der vollständigen Überwindung des Todesreiches) erfüllt haben [präzise und konkret ausgedrückt wird die materielle Schöpfung ihren Zweck dann erfüllt haben, wenn sich alle gestürzten Vernunftwesen vom Ursprung allen Bösen (d.h. vom „Lichtträger“) abgewandt haben und in ihrem geistigen Aufstieg so weit fortgeschritten sein werden, dass keine einzige Inkarnation in die irdische Welt mehr notwendig sein wird]. Im Zusammenhang mit dieser Erfüllung des Zwecks der irdischen Welt lehrte Origenes, dass sich der materielle Kosmos dann vollkommen vergeistigt haben wird (d.h. dass die Materie in geistige Substanz umgewandelt sein wird), so dass in jener fernen Zukunft – d.h. in Milliarden von Jahren – überhaupt keine Materie, sondern nur noch die jenseitige Welt existieren wird. Da der Grossteil des ursprünglich sehr umfangreichen Werkes von Origenes nicht überliefert wurde, sondern der Vernichtung anheimfiel, ist uns leider nicht der gesamte Inhalt seiner Lehre von der Vergeistigung der materiellen Welt zugänglich. In der uns überlieferten Version seines Werkes „De principiis“ sind noch die folgenden, unverfälschten Ausführungen von Origenes über die Vergeistigung der Materie am Ende des materiellen Kosmos enthalten:
Wenn nun Paulus sagt (vgl. 2 Kor. 4, 18), einige Dinge seien „sichtbar und zeitlich“, andere „unsichtbar und ewig“, müssen wir fragen, inwiefern das Sichtbare zeitlich ist: Etwa deshalb, weil es überhaupt nicht mehr existieren wird in all jenen kommenden Zeiträumen, wo jene Zerteilung des einen Ursprungs zurückgeholt wird zur Einheit und Gleichheit des Endes? Oder deshalb, weil die Gestalt des Sichtbaren vergänglich ist, nicht aber seine Substanz ganz und gar vernichtet wird? Paulus scheint das Letztere zu bestätigen, wenn er sagt (1 Kor. 7, 31): „Denn die Gestalt dieser Welt wird vergehen.“ Auch David scheint dasselbe anzuzeigen, wenn er sagt (Ps. 101, 27): „Die Himmel werden vergehen, aber du bleibest. Sie werden alle veralten wie ein Gewand, und wie ein Kleid wirst du sie wechseln, wie ein Gewand werden sie verändert werden.“ Denn wenn die Himmel verändert werden, so vergeht ja nicht, was verändert wird, und wenn die Gestalt dieser Welt vergeht, so bedeutet das keine völlige Auslöschung oder Vernichtung der stofflichen Substanz, sondern es geschieht eine Veränderung der Eigenschaften und der Gestalt. [De principiis I 6, 4, S. 229 ff.]
Auch aus dem Verdammungsedikt des Konzils von Konstantinopel von 553 n. Chr. geht hervor, dass Origenes die völlige Aufhebung der materiellen Natur und deren Umwandlung in eine immaterielle Natur (d.h. in eine feinstoffliche Substanz) lehrte, denn im 11. Anathematisma von 553 n. Chr. wird wörtlich ausgeführt:
Wenn einer sagt: Das kommende Gericht bedeute eine völlige Aufhebung der Körper, und am Ende dieser erdichteten Ereignisse stehe die immaterielle Natur, und in der Zukunft werde nichts Materielles bestehen, sondern der blosse Nus – so sei er im Banne. [11. Anathematisma von 553 n.Chr. in der Übersetzung von Görgemanns/Karpp, S. 829]
2. Das Thema der Erfüllung des göttlichen Heils- und Erlösungsplanes in Didymos‘ Sacharja-Kommentar
Bei der Beantwortung der theologischen Kernfragen, welches denn der Sinn und Zweck des göttlichen Heils- und Erlösungsplanes sind und was dessen vollständige Erfüllung für den Einzelnen und für die gesamte Schöpfung in der Zukunft überhaupt bedeuten wird, konnte Didymos aus dem Fundus schöpfen, den ihm der berühmte frühchristliche Theologe Origenes an der Christenschule in Alexandria hinterlassen hatte. Origenes‘ Lehre von der vollständigen Wiederherstellung der ursprünglichen göttlichen Ordnung wurde im vorangegangenen Kapitel behandelt. Im Folgenden soll anhand von Stellen aus dem Sacharja-Kommentar von Didymos aufgezeigt werden, dass Didymos den Sinn und Zweck des göttlichen Heils- und Erlösungsplanes wie Origenes in der vollständigen Wiederherstellung der ursprünglichen göttlichen Ordnung und damit in der Rückkehr aller gestürzten Vernunftwesen in ihre ursprüngliche Heimat in der hohen jenseitigen Welt erblickte.
Gestützt auf Sacharja 6, 12 legt Didymos seinen Lesern dar, dass der Endzweck der Erlösungstat Christi ist, dass alle gestürzten Vernunftwesen wieder Freunde anstatt Feinde des grossartigen Königs (“great king“, d.h. Jesus Christus) werden, so dass die ursprüngliche, glückselige göttliche Ordnung wiederhergestellt werden (“rebuild the house of the Lord“) und der Herr wieder mit den gestürzten Vernunftwesen zusammenleben wird, nachdem er sie zu sich gerufen und sie verwandelt hat (“so that he will dwell and walk among them, having summoned and transformed them“):
You will say to him, The Lord almighty says this: Here is a man, Dawn by name [Jesus Christus], and it will rise beneath him, and he will rebuild the house of the Lord (Zechariah 6, 12). [Sacharjakommentar 6, S. 121]
In keeping with the text in hand is the verse in the prophet Jeremiah running as follows: “Lo, the days are coming, says the Lord, and I shall raise up to David a righteous dawn, and he will reign as king, be understanding, and execute justice and righteousness on the earth. In his days Judah will be saved and Israel will dwell in confidence. This is the name by which the Lord will call him, Jehozadak among the prophets“. In other words, the one raised up from David as a righteous dawn is the one shown to the revealer in the verse “Here is a man, Dawn is his name“. This same man called Dawn on account of being “sun of justice“, a righteous dawn raised up from David, we claim is none other than the one born of David’s offspring according to the flesh, of whom the sacred herald Isaiah cries aloud in prophetic tones, “The root will spring from Jesse, raised up to govern nations; in him will nations hope, and his rest will be glorious“. In writing to his “true disciple“ Timothy, the apostle pens the same words, “Remember Jesus Christ raised up, of David’s offspring“. [Sacharjakommentar 6, S. 122]
The enemies who according to the third interpretation, however, were placed under the feet of the great king will become friends instead of adversaries, and rebuild the house of the Lord so that “he will dwell and walk among them“, having summoned and transformed them. [Sacharjakommentar 6, S. 127]
Didymos legt seinen Lesern nicht nur dar, dass der Endzweck des göttlichen Heils- und Erlösungsplanes die vollständige Wiederherstellung der ursprünglichen göttlichen Ordnung und damit die Rückkehr aller gestürzten Vernunftwesen in ihre ursprüngliche Heimat in der hohen jenseitigen Welt ist, sondern er zeigt ihnen gestützt auf Sacharja 14, 18 auch auf, welchen konkreten Weg jede einzelne Persönlichkeit beschreiten muss, um wieder in das Reich Gottes zurückkehren zu können:
Zeal should be shown through love of God to complete in a brisk manner [our] progress in virtue “with cries of joy and salvation.“ The purpose is for us to ascend as a result of this progress to the house whose foundations have been laid by the savior of all forever, and praise the one who has brought us to him after great progress, so that each may say with faith and knowledge, “Lord, I loved the beauty of your house and place of habitation of your glory“. By this, in fact, it becomes possible ro raise such hymns of song as, “I circled about in his tabernacle and sacrificed a sacrifice of rejoicing“. The person who is the recipient of this blessed and holy guidance, even if Egyptian or from another nation, will find rest as was the case also before the downfall, now that on the basis of complete and perfect virtue one occupies Jerusalem in the inner man. [Sacharjakommentar 14, S. 353 f.]
Auch die folgende Prophezeiung im Buch Sacharja bezieht sich auf die vollständige Wiederherstellung der ursprünglichen göttlichen Ordnung (Sacharia 10, 8 – 10):
I shall send them a signal and welcome them, for I shall ransom them and they will become as numerous as they were before. I shall sow them among peoples, and those far off will remember me. They will raise their children and bring them back. I shall bring them back from the land of Egypt and welcome them from Assyria; I shall bring them into Gilead and into Lebanon, and none of them, not one, will be left behind. [Sacharjakommentar 10, S. 242]
Um den tieferen, geistigen Sinn dieser Prophezeiung erfassen zu können, benötigt man die Information, in welcher sinnbildlichen Bedeutung im Alten Testament die Begriffe “Ägypten“, “Assyrien“ und “Babylon“ verwendet werden. Diese sinnbildliche Bedeutung erläutert Didymos im folgenden Abschnitt:
In a spiritual sense Assyrians, Babylonians, and Egyptians represent also incorporeal hostile powers treating the prisoners in their control in an inhumane fashion; it is not mortal Assyrians whose leader is called «haughty pride» in the description of Isaiah, «the Lord will afflict the haughty pride, the leader of the Assyrians.» […] This «haughty pride», commanding and ruling the Assyrians, taken in an allegorical sense, ruled the wickedness of the Babylonians in another sense, and in another the Egyptians, those who in an allegorical sense are spiritually Egyptians and Babylonians. [Sacharjakommentar 7, S. 151]
Mit Ägyptern, Assyrern und Babyloniern sind im Alten Testament somit in einem allegorischen Sinn Mächte bzw. Persönlichkeiten der Unterwelt gemeint, und Ägypten, Assyrien und Babylon stehen im Alten Testament als Sinnbilder für das Reich des Unterweltherrschers. Kennt man diese sinnbildhaften Bedeutungen, so weist die oben zitierte, in Sacharja 10, 8 – 10 enthaltene Prophezeiung den folgenden geistigen Sinn auf:
Gott wird nach der Erlösungstat Christi [das Buch Sacharja wurde ja Jahrhunderte vor Christi Erdenleben verfasst und deshalb wird hier die Zukunftsform verwendet] ein Signal senden und die in den Hades gestürzten Wesenheiten willkommen heissen, denn er wird sie [aus der Gewaltherrschaft des Unterweltherrschers] auslösen, und sie werden [als Bewohner des Reiches Gottes] wieder so zahlreich werden, wie sie es vor dem Engelsturz waren. Gott wird die gestürzten Wesenheiten [mittels Inkarnationen auf der irdischen Welt] unter Menschen “säen“, und diese inkarnierten Wesenheiten werden sich – als Menschen und damit weit entfernt vom Reiche Gottes lebend – an Gott erinnern. Sie werden ihre Kinder aufziehen und auf diese Weise dazu beitragen, dass auch diese ihren Weg zurück ins Reich Gottes finden. Gott wird sie aus dem Land Ägypten [d.h. aus dem Reich des Unterweltherrschers] zurückholen und sie aus Assyrien [d.h. aus der Unterwelt] willkommen heissen. Er wird sie nach Gilead [“those anxious to have the transfer of witness (in Gn 31,37 Laban’s “mount of witness“ is called Gilead in Heb.), the transfer from vice to virtue“, Sacharjakommentar 10, S. 246] und nach Libanon [“Lebanon meaning “divinity“ in the statement by the divine bridegroom to the godly bride“, Sacharjakommentar 10, S. 247] führen, und keiner von ihnen, nicht ein einziger, wird [in der Unterwelt] zurückgelassen werden.
Auch die folgenden Stellen aus dem Sacharja-Kommentar von Didymos belegen, dass dieser grosse Theologe aufgrund seiner lebenslangen, intensiven Beschäftigung mit den Texten des Alten und Neuen Testaments zur Überzeugung gelangte, dass Christus alle gestürzten Wesen erlöste und dass das Endziel des göttlichen Heils- und Erlösungsplanes darin besteht, dass alle gestürzten Vernunftwesen in ihre ursprüngliche Heimat in der hohen jenseitigen Welt zurückkehren werden. Somit bleibt für das Dogma der katholischen Kirche, wonach am sog. Jüngsten Tag ein Teil der Menschen zu ewigen Höllenstrafen verurteilt werden wird, kein Raum:
Once the munificent God had led into Gilead and Lebanon those redeemed from Pharaoh and Assyria, none of the enemies was left – not by existing no longer, since it is impossible for a rational being to be reduced to nothing, despite being guilty of every sin and awful impiety – but by no longer being foe and adversary of those redeemed by God. This will be particularly so when «God has become all in all», «when all come to maturity, to the measure of the full stature of Christ», «when they are united in the same mind and the same purpose». This will happen when the Son says to the Father «Grant that they may be one in us, as I and you are one». Clearly, when all receive the fullness of divinity, there is no one left who is cut off from this unity, out-side and alone; then all «grief, pain, and groaning will disappear», and likewise in place of great numbers all will be combined in one single man. [Sacharjakommentar 10, S. 248]
Dass in der Theologie von Didymos für das Dogma der katholischen Kirche, wonach am sog. Jüngsten Tag ein Teil der Menschen zu ewigen Höllenstrafen verurteilt werden wird, kein Raum bleibt, zeigt sich auch deutlich in seinen Erläuterungen zu Sacharja 12, 9 und 14, 12. So führt er im Rahmen seiner Erläuterungen zu Sacharja 14, 12 aus, dass diejenigen Menschen, welche die christliche Kirche angreifen, wohl einen Sturz erleiden werden, dass auf diesen Sturz jedoch eine Erholung und ein stabiler Zustand folgen werden, die zu einer gewaltigen Auszeichnung führen werden (“their downfall will be followed by a recovery and stable condition that win exceeding commendation“):
This will be the downfall with which the Lord will strike all the people who attack Jerusalem. Their flesh will wither while they are still on their feet, their eyes run from their sockets, and their tongues rot in their mouths (Sacharja 14, 12). [ Sacharjakommentar 14, S. 341]
This misfortune did not affect to the same extent those besieging and plundering the material Jerusalem as the people persecuting Christianity and the Church of Christ, which is Jerusalem taken anagogically. [Sacharjakommentar 14, S. 341]
God strikes those encircling Jerusalem with hostile intent so that they may desist from the awful condition they adhere to in being devoted to their superstitious service. When their downfall occurs for their own good, it will be followed by a recovery and stable condition that win exceeding commendation. In reference to this prophecy the righteous Simeon, filled with the Holy Spirit, took into his arms the infant born of Mary and gave witness in the words “Lo, this is the one who is set for the downfall and rise of many“ (Lukas 2, 34). [Sacharjakommentar 14, S. 342]
On that day I shall seek to do away with all the nations advancing on Jerusalem (Sacharja 12, 9). [Sacharjakommentar 12, S. 299]
Now, he is seeking to do away with all the nations at odds with truth and reverence for God, not to the extinction of all human beings – something impossible – but for them to be no longer evil and wicked. […] You see, just as our Lord and savior came to seek our race, which was lost, and saved it, so in seeking to do away with all the nations advancing on Jerusalem he saves them. [Sacharjakommentar 12, S. 299]
All the nations, in fact, will become his inheritance when they abandon all superstition and polytheistic error. [Sacharjakommentar 9, S. 207]
Now, what will follow for those mindful of the sovereign if not the constant recollection of “the city of the living God“, which is a heavenly city according to the verse “You who are at a distance, remember the Lord, and let Jerusalem come into your heart“. [Sacharjakommentar 10, S. 245]